Wie nachhaltig ist „öko“? Agrarökonom Prof. Harald von Witzke gibt Antworten
„Der gesamtgesellschaftliche Nutzen moderner Geflügelfleischerzeugung in Deutschland und der Europäischen Union“: So lautet der Titel einer vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V. initiierten Studie der HFFA Research GmbH. Im Interview äußert sich Mitautor Prof. em. Dr. Dr. h. c. Harald von Witzke zu den zentralen Erkenntnissen der Untersuchung – und zur Frage, ob „öko“ vielleicht doch nicht so nachhaltig ist wie vom Verbraucher oft angenommen.
Die weltweite Nachfrage nach Geflügelfleisch wird sich laut Ihrer Studie besonders dynamisch entwickeln. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie auf die deutsche Geflügelwirtschaft zukommen?
Der weltweite Verbrauch von Geflügelfleisch wächst schneller als der Fleischverbrauch insgesamt: Zwischen 1964 und 2014 hat er sich vervierfacht. Dadurch ist der Anteil von Geflügelfleisch am gesamten Fleischverbrauch von 12,6 auf 35,6 Prozent gestiegen. Es wird erwartet, dass der weltweite Geflügelfleischverbrauch auch weiterhin rasant zunimmt. Wie in anderen Bereichen beobachten wir auch bei Geflügelfleisch eine zunehmende Differenzierung der Verbraucherpräferenzen, zum Beispiel mit Blick auf eine extensivere oder ökologische Erzeugung. In einer Marktwirtschaft reagieren die Erzeuger auf eine derartige Diversifizierung der Nachfrage mit einer entsprechenden Diversifizierung des Angebots. Dies wird sicher auch in Deutschland so sein.
Mit Ihrer Studie liegt erstmals ein umfassender Vergleich der konventionellen Geflügelfleischerzeugung mit extensiven bzw. ökologischen Erzeugungsverfahren vor. Was wären denn die Folgen einer kompletten Umstellung auf Ökowirtschaft in der Geflügelbranche?
Zunächst würde dies zu Einkommensverlusten in der deutschen Geflügelwirtschaft in Höhe von 1,1 Mrd. Euro führen - und noch einmal zu Verlusten an Einkommen in etwa der gleichen Höhe in den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen. Die ökologischen Kosten einer solchen Umstellung der Produktion wären indes noch weit höher, was insbesondere an der deutlich schlechteren Futterverwertung liegt. Die weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen müssten dann um 160.000 Hektar ausgedehnt werden, was einen entsprechenden Verlust an natürlichen oder naturnahen Lebensräumen bedeuten würde. Dabei würden erhebliche zusätzliche CO2-Emissionen anfallen. Deren Klimakosten würden mindestens 2,2 Mrd. Euro betragen. Gleichzeitig würde sich die weltweite Artenvielfalt verringern, äquivalent zur Rodung von 77.000 Hektar Regenwald. Auch der weltweite Wasserverbrauch würde sich dadurch deutlich erhöhen und zwar um etwa 2 Mrd. Kubikmeter. Das entspricht ziemlich genau dem Wasserabfluss der Elbe in die Nordsee in einem Zeitraum von 27 Tagen.
Ist „öko“ also gar nicht so nachhaltig wie vom Verbraucher oftmals angenommen?
Eine flächendeckende Umstellung auf die so genannte ökologische Erzeugung in Deutschland zerstört natürliche Lebensräume und Artenvielfalt in anderen Teilen der Welt und beschleunigt den Klimawandel. Ökonomisch nachhaltig wäre dies auch insofern nicht, als es zu erheblichen Einkommensverlusten in der Landwirtschaft und den mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereichen führt. Mit der modernen Landwirtschaft werden nicht nur höhere Einkommen erzielt, sondern auch natürliche Lebensräume und Biodiversität erhalten. So wird ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz geleistet.
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